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Die WTO in Zeiten von Corona

Die Arbeiten zu Beginn des Jahres 2020 konzentrierten sich ganz auf die Vorbereitung der 12. WTO-Ministerkonferenz, welche im Juni in Nursultan (Kasachstan) stattfinden sollte. Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie führte zu einem abrupten Abbruch dieser Arbeiten. Fortan konzentrierten sich die Mitglieder auf verschiedene Bestrebungen, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise so gering wie möglich zu halten. Für die WTO ist die Covid-19-Pandemie auch eine Chance, ihre Bedeutung als multilaterales Forum unter Beweis zu stellen. In der Tat nutzten die Mitglieder die Organisation auf vielfältige Weise, um sich zu informieren, sich abzusprechen und weitere Schritte in der Krisenbewältigung zu planen. 

Transparenz in Krisenzeiten

Transparenz ist ein Grundpfeiler der WTO. Für eine reibungslose Abwicklung sind globale Lieferketten auf Vorhersehbarkeit und Transparenz angewiesen. Während der Pandemie war eine zeitnahe Notifikation von getroffenen Massnahmen sowie die Diskussion dieser Massnahmen mit anderen Mitgliedern essenziell, um die globale Versorgungssicherheit nicht zu beeinträchtigen. In der ersten Phase der Pandemie war insbesondere das von der WTO koordinierte Covid-19-Reporting, in welchem die Mitglieder ihre handelsbezogenen Massnahmen notifizierten, von grosser Bedeutung. Im Bereich der Landwirtschaft ermöglichte dies beispielsweise einen besseren Überblick über die implementierten Exportrestriktionen. Dies erlaubte es Ländern wie der Schweiz, die für ihre Versorgung auf Importe angewiesen sind, laufend zu analysieren, ob die Versorgungskanäle gefährdet sind. Anders als zu Beginn angenommen, kam es aber trotz einzelner Exportrestriktionen weder zu einer Versorgungskrise noch zu erheblichen Schwankungen in den Weltmarktpreisen.

Neben dem ad-hoc-Reporting der handelsbezogenen Massnahmen, gab es weitere Initiativen, um den Informationsfluss zwischen den Mitgliedern zu fördern. Im Bereich der Landwirtschaft fand eine Sondersitzung des Agrarausschusses statt, um über die aktuelle Situation im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie und ihre Auswirkungen auf den internationalen Agrarhandel zu beraten. Im Rahmen dieser Sitzung wurden verschiedene Initiativen vorgestellt, die sich mit der Thematik befasst hatten. Die Schweiz unterstützte insbesondere eine gemeinsame Ministererklärung von einer diversen Trägerschaft, welche fordert, die Handelsflüsse für Agrarprodukte offen zu halten und allfällige Massnahmen nur befristet anzuwenden. 

Auswirkungen auf die ordinären Verhandlungen

Die WTO steckte bereits vor der Covid-19-Pandemie in einer Krise. Trotz der breiten Unterstützung des multilateralen Systems taten sich die Mitglieder in den letzten Jahren schwer, weitgehende Beschlüsse zu treffen. An der letzten Ministerkonferenz 2017 in Buenos Aires konnten im Agrarbereich weder eine gemeinsame Ministererklärung noch ein vollumfängliches Arbeitsprogramm verabschiedet werden. Die Covid-19 bedingte Verschiebung der Ministerkonferenz führte zu zusätzlichen Unsicherheiten in den Verhandlungen. Da lange nicht klar war, wann die Ministerkonferenz neu stattfinden wird, blieb der Zeithorizont für die Verhandlungen ungeklärt. Ausserdem waren viele Mitglieder mit der Bekämpfung der Pandemie beschäftigt und hatten weder Ressourcen noch den politischen Willen, die ordinären Verhandlungen weiter voranzutreiben. Nicht zuletzt war auch die Tatsache, dass Verhandlungen virtuell stattfinden mussten, eine grosse Hürde für das Engagement der Länder und die erfolgreiche Wiederaufnahme der Verhandlungen.

Insbesondere offensive Länder nutzen die Pandemie jedoch auch, um ihre Verhandlungsinteressen weiter voranzutreiben. Eine Initiative der Cairns-Gruppe (NZ, AUS, BRA, CAN, usw.) macht beispielsweise auf die Risiken aufmerksam, die von neuen, infolge der Krise ergriffenen Massnahmen ausgehen und die Märkte zusätzlich verzerren. Sie appellieren daran, solche Massnahmen aufzuheben, Protektionismus abzubauen und den Reformprozess in der WTO mit Blick auf positive Resultate für die 12. WTO-Ministerkonferenz in allen drei Pfeilern (Marktzugang, Exportwettbewerb und Inlandstützung) fortzuführen. Da viele WTO-Mitglieder neben Exportrestriktionen zusätzliche Zahlungen zur Unterstützung ihrer Produzenten während der Krise gesprochen haben, ist davon auszugehen, dass die Thematik der Limitierung der internen Stützung auch im Kontext der Covid-19-Pandemie die Priorität für viele Mitglieder sein wird. 

Obwohl die Covid-19-Pandemie hauptsächlich eine Gesundheitskrise und keine Ernährungskrise ist, hat sie einen beachtlichen Einfluss auf die Agrarverhandlungen. Inwiefern sich die Prioritäten in den Verhandlungen und die Bereitschaft der Mitglieder für umfassende Konzessionen im Agrarbereich verschieben, wird sich aber erst zeigen, wenn die Pandemie weltweit unter Kontrolle ist.

Michèle Däppen, BLW, Fachbereich Handelsbeziehungen, michele.daeppen@blw.admin.ch

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