Risiken von Pflanzenschutzmitteln
Zum Schutz von Kulturpflanzen vor Schadorganismen werden Pflanzenschutzmittel auf landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht. Mit dem Wind oder durch Regenwasser können sie dabei unbeabsichtigt in angrenzende Oberflächengewässer gelangen. Dort können die Pflanzenschutzmittel, je nach ihrer Ökotoxizität und Umweltkonzentration, negative Auswirkungen auf die Gewässerorganismen haben.
Im Rahmen des Agrarumweltmonitorings werden deshalb seit 2009 detaillierte Daten zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erhoben und ausgewertet. Mit diesen Daten wird zusätzlich zum Indikator «Einsatz von Pflanzenschutzmitteln» auch der Indikator «aquatische Risiken» berechnet. Er bildet das Risikopotenzial für Organismen der Oberflächengewässer ab und bewertet somit auch die Umweltrelevanz der eingesetzten Pflanzenschutzmittel.
Neuer Indikator «aquatische Risiken»
Der Indikator «aquatische Risiken» basiert auf dem Computer Modell «SYNOPS» (synoptische Bewertung des Risikopotenzials chemischer Pflanzenschutzmittel; Gutsche & Strassemeyer, 2007). Das Modell berücksichtigt, in welcher Menge die eingesetzten Pflanzenschutzmittel ins Gewässer transportiert werden können und welches Risikopotenzial für Gewässerorganismen damit verbunden ist. Der Indikator «aquatische Risiken» wurde 2020 erstmals veröffentlicht und zeigt die zeitliche Veränderung der Risikopotenziale für Oberflächengewässer, die durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Schweiz entstehen (de Baan, Blom & Daniel, 2020).
Basis für die Berechnungen mit SYNOPS sind Pflanzenschutzmittel-Einsatzdaten, die verschiedene Betriebe seit 2009 dem Agrarumweltmonitoring zur Verfügung gestellt haben. Für diese Anwendungsdaten wurden mittels SYNOPS die Wirkstoffmengen berechnet, die bei einem Pflanzenschutzmitteleinsatz über vier verschiedene Eintragspfade (Drift, Abschwemmung, Erosion, Drainage) ins Gewässer gelangen können. Neben den chemischen Eigenschaften der Wirkstoffe und den für die Schweiz typischen Umweltbedingungen (vgl. de Baan, 2020) wurden auch die für einzelne Produkte verfügten Auflagen berücksichtigt, wie zum Beispiel ein bewachsener Pufferstreifen von 6 m zur Reduktion der Abschwemmung. Anschliessend wurden die potenziellen Konzentrationen der Wirkstoffe im Gewässer berechnet. Diese Werte wurden mit der Ökotoxizität der Wirkstoffe für fünf verschiedene Gewässerorganismen (Algen, Wasserlinsen, Wasserflöhe, Fische und Sedimentorganismen) ins Verhältnis gesetzt und somit ein Risikowert pro Organismengruppe und Wirkstoff berechnet. Höhere Risikowerte zeigen bei der Berechnung mit SYNOPS ein höheres Risikopotenzial an. Anschliessend wurden diese Risikowerte zu einem Indikator vereint, der pro Kultur für jedes Jahr das durchschnittliche Risikopotenzial für Oberflächengewässer, das durch den Einsatz von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden entsteht, abbildet. Das Risikopotenzial beschreibt also das von einem Feld ausgehende Risiko für Gewässerorganismen. In einem letzten Schritt wurde das durchschnittliche Risikopotenzial pro Kultur mit der schweizweiten Anbaufläche der Kultur im jeweiligen Jahr multipliziert. Daraus ergibt sich ein «flächengewichtetes Risikopotenzial». Kulturen mit hohem Risikopotenzial und/oder grossen Anbauflächen erhalten somit einen hohen Wert.
Mithilfe des Modells SYNOPS wird berechnet, wie stark die in der Schweiz eingesetzten Pflanzenschutzmittel über verschiedene Eintragspfade (Drift, Abschwemmung, Erosion, Drainage) ins Gewässer transportiert werden können, und welche Risiken dabei für verschiedene Gewässerorganismen entstehen können. Effekte von Auflagen, die zum Ziel haben, den Eintrag ins Gewässer zu reduzieren, können berücksichtigt werden.
Quelle: Agroscope
Risikopotenzial nimmt durch Abstandsauflagen ab
Anhand der Daten aus dem Agrarumweltmonitoring konnte die Entwicklung der Risikopotenziale durch den Einsatz von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden im Feldbau über die letzten zehn Jahre (2009 – 2018) dargestellt werden (de Baan, Blom, Daniel, 2020). Bei den Herbizidanwendungen zeigten die Kulturen Mais, Raps, Wintergerste, Winterweizen und Zuckerrüben die höchsten flächengewichteten Risikopotenziale. Bei den Fungizidapplikationen hatten Winterweizen und Wintergerste die höchsten flächengewichteten Risikopotenziale, bei den Insektiziden die Kultur Raps.
Im Folgenden werden die Entwicklungen pro Wirkungsbereich beispielhaft an jeweils einer Kultur aufgezeigt. Da der Aktionsplan Pflanzenschutzmittel vorsieht, das Risikopotenzial für aquatische Organismen bis zum Jahr 2027 um 50 % gegenüber dem Mittelwert von 2012–2015 zu reduzieren, werden die zeitlichen Entwicklungen jeweils gegenüber diesem Referenzwert (Mittelwert 2012–2015) erläutert.
Herbizide in Wintergerste: Auflagen führen zu Risikoreduktion
Bei den in Wintergerste eingesetzten Herbiziden ist deutlich zu erkennen, dass die Zunahme an Abstandsauflagen zu einem reduzierten Risikopotenzial führte. Wurden Auflagen in der Modellierung berücksichtigt, nahm das flächengewichtete Risikopotenzial von Herbiziden in Wintergerste seit 2013 deutlich ab und lag 2018 27 % tiefer als in den Referenzjahren (2012 – 2015). Wurden die Auflagen nicht einberechnet, war 2018 das flächengewichtete Risikopotenzial ähnlich gross wie in den Referenzjahren (+1 %). In den Daten des Agrarumweltmonitorings zeigte sich eine deutliche Zunahme von Auflagen bei den auf Wintergerste eingesetzten Herbizid-Produkten: bis 2012 gab es keine Produkte mit einer Auflage zur Reduktion der Abschwemmung, 2013 hatten 44 % der eingesetzten Herbizide eine Auflage, 2018 waren es bereits 66 %. Für die Reduktion der Drift hatten 2009 bereits 4 % der in Wintergerste eingesetzten Herbizide eine Abstandsauflage, 2018 waren es schon 31 % mit Auflagen zwischen 6 m und 20 m.
Links: Entwicklung des flächengewichteten Risikopotentials für je eine ausgewählte Kultur pro Wirkungsbereich (Herbizid, Fungizid, Insektizid) für den Zeitraum 2009 – 2018. Die türkisfarbenen Balken zeigen die Risikoreduktion bei der Berücksichtigung von Auflagen.
Rechts: Anteil aller eingesetzten Pflanzenschutzmittel-Produkte, welche im Agrarumweltmonitoring erfasst sind, bei denen eine Auflage zur Reduktion von Abschwemmung verfügt worden ist.
Quelle: Agroscope
Fungizide in Winterweizen: abnehmende Risiken auch ohne Abstandsauflagen
Bei den in Winterweizen eingesetzten Fungiziden nahm das Risikopotenzial durch einen veränderten Einsatz im betrachteten Zeitraum ab, durch die Auflagen konnte es noch weiter reduziert werden. Unter Berücksichtigung von Auflagen lag das flächengewichtete Risikopotenzial bei Fungiziden im Winterweizen im Jahr 2018 um 49 % tiefer als in den Referenzjahren. Ohne Auflagen war eine Abnahme von 21 % zu verzeichnen. Bei Winterweizen konnte im betrachteten Zeitraum eine starke Zunahme an Auflagen bei den eingesetzten Fungiziden beobachtet werden: 2011 gab es im Datensatz des Agrarumweltmonitorings keine in Winterweizen eingesetzte Fungizid-Produkte mit einer Abstandsauflage zur Reduktion der Abschwemmung, 2018 hatten bereits 53 % eine solche Auflage. Zur Reduktion der Drift hatten 2009 bereits 4 % der in Winterweizen eingesetzten Fungizide eine Auflage, 2018 waren es schon 33 % mit Auflagen zwischen 6 m und 50 m.
Insektizide in Raps: Risiko nahm zeitweise wegen Chlorpyrifos zu
Bei den in Raps eingesetzten Insektiziden nahm das flächengewichtete Risikopotenzial 2014 sprunghaft zu und danach kontinuierlich wieder ab, wobei diese Zunahme unter Berücksichtigung von Auflagen stark abgeschwächt war. 2018 war das flächengewichtete Risikopotenzial 18 % (mit Auflagen) bzw. 4 % (ohne Auflagen) niedriger im Vergleich mit den Referenzjahren 2012–2015. Der steile Anstieg ist auf den Einsatz des für Gewässerorganismen relativ giftigen Wirkstoffs Chlorpyrifos zurückzuführen, der 2013 zur Bekämpfung des Rapsglanzkäfers neu zugelassen und ab Juli 2020 wegen Umweltbedenken wieder zurückgezogen wurde. Der Rapsglanzkäfer war mit den bisherigen Wirkstoffen nicht mehr wirksam bekämpfbar, da sich Resistenzen entwickelt hatten. Deshalb wurde Chlorpyrifos ab 2013 häufig im Raps eingesetzt, in den darauffolgenden Jahren lag sein Anteil bei 17 %–39 % aller im Raps verwendeten Insektizide. Die grossen Unterschiede mit und ohne Abstandauflagen entstanden durch die starke Zunahme an Auflagen bei den in Raps eingesetzten Insektiziden. Während 2012 noch keine der im Raps eingesetzten Insektizide eine Auflage zur Reduktion der Abschwemmung hatten, waren es 2018 bereits 49 %. Bei Auflagen zur Reduktion der Drift hatten 2009 bereits 13 % der im Raps eingesetzten Insektizide eine Auflage, 2018 waren es schon 77 % mit Abständen von 6 m bis 100 m.
Einhaltung von Auflagen und Wirkstoffwahl tragen zur Risikoreduktion bei
Die Ergebnisse zeigen, dass seit zehn Jahren Pflanzenschutzmittel vermehrt nur noch unter Einhaltung von Auflagen eingesetzt werden dürfen, und dass diese Massnahmen in der Modellierung einen grossen Einfluss auf die Risikopotenziale haben. Eine strikte Einhaltung der Auflagen bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist also zentral, um eine Reduktion des Risikopotenzials für Organismen der Oberflächengewässer zu erreichen. Aber nicht nur die hier besprochenen Auflagen, sondern auch die Wahl von risikoärmeren Wirkstoffen oder ein reduzierter Einsatz können einen wichtigen Beitrag zur Risikoreduktion leisten.
Die «Gezielte Überprüfung» (GÜ) ist eine im Jahr 2010 angelaufene kontinuierliche Evaluation der in der Schweiz bewilligten Pflanzenschutzmittel. Der Zweck der GÜ ist die Neubeurteilung des Risikopotenzials der Pflanzenschutzmittel auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse mit einer entsprechenden Anpassung der Bewilligungen. Im Zeitraum 2011 bis 2019 wurden 98 Wirkstoffe (von insgesamt rund 350 zugelassenen Wirkstoffen) überprüft, bei 93 Wirkstoffen wurden Anpassungen in der Bewilligung meist in Form von Auflagen vorgenommen. Im Bereich Oberflächengewässer umfassen diese Auflagen Massnahmen zur Reduktion von Pflanzenschutzmittel-Einträgen via Drift oder Abschwemmung. Diese Massnahmen werden spezifisch für einzelne Anwendungen verfügt (z.B. bei der Anwendung eines spezifischen Produkts gegen den Schädling Rapsglanzkäfer im Raps).
Zur Reduktion von Einträgen via Drift können für einzelne Pflanzenschutzmittelanwendungen Auflagen verfügt werden, die je nach Risikopotenzial der Pflanzenschutzmittel eine unbehandelte Pufferzone von 6 m, 20 m, 50 m oder 100 m zu Oberflächengewässern beinhalten. Diese Distanz kann beim Einsatz von Massnahmen mit ähnlicher driftreduzierender Wirkung verringert werden. Zur Reduktion von Einträgen via Abschwemmung wurde bis 2018 für einzelne Pflanzenschutzmittelanwendungen ein 6 m breiter, bewachsener Pufferstreifen vorgeschrieben. Seit 2019 muss je nach Risikopotenzial einer Pflanzenschutzmittelanwendung eine Kombination von verschiedenen Massnahmen zur Reduktion der Abschwemmung umgesetzt werden, die mit 1 bis 4 Punkten bewertet werden. Solche Massnahmen umfassen beispielsweise unterschiedlich breite, bewachsene Pufferstreifen zu Gewässern, Teilflächenbehandlung, Direktsaat oder eine Terrassierung.
Berücksichtigung von Auflagen im Risikoindikator
Für die Interpretation der Resultate ist es wichtig zu verstehen, dass für die Berechnung der Effekte von Auflagen in SYNOPS einige Faktoren nicht berücksichtigt werden konnten, und dass deren Ausklammerung zu Über- oder Unterschätzungen der Effekte führen kann. Bei der Abschwemmung wurde zum Beispiel nicht berücksichtigt, dass die Auflagen nur Felder mit mehr als 2 % Hangneigung und weniger als 100 m Abstand zum Gewässer betreffen. Ausserdem fehlten Daten über die Anzahl der Betriebe, die schon vor dem Erlass von Auflagen in der Zulassung Massnahmen umgesetzt haben, und wie viele Betriebe nach Erlass von Auflagen Massnahmen getroffen haben. Andererseits haben viele Auflagen, wie beispielsweise bewachsene Pufferstreifen, nicht nur Auswirkungen auf einzelne Anwendungen (wie in der Risikoberechnung angenommen), sondern reduzieren die Risikopotenziale von allen auf dem Feld angewendeten Pflanzenschutzmitteln, auch von Produkten ohne Auflagen. Um diese Aspekte besser zu berücksichtigen und die Wirksamkeit von Auflagen verlässlicher zu beurteilen, sind Daten zur effektiven Umsetzung der Auflagen notwendig.
Die hier dargestellten Risikopotenziale ohne Auflagen zeigen, wie sich ein veränderter Pflanzenschutzmitteleinsatz (Wirkstoffwahl, Einsatzmenge, Anbauflächen) auf die Risikopotenziale auswirkte. Die Risikopotenziale mit Auflagen zeigen den zusätzlichen Effekt von Auflagen auf die Entwicklungen der Risikopotenziale. Mit dieser getrennten Darstellung können die Entwicklungen der Risikopotenziale transparent aufgezeigt werden.
Literatur
de Baan, L. 2020. Sensitivity analysis of the aquatic pesticide fate models in SYNOPS and their parametrization for Switzerland. Science of the Total Environment: 715
de Baan, L., Blom, J.F., Daniel, O. 2020. Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und Gewässerrisiken von 2009 bis 2018. Agrarforschung Schweiz 11:162-174
Gutsche, V. & Strassemeyer, J., 2007. SYNOPS – ein Modell zur Bewertung des Umwelt-Risikopotentials von chemischen Pflanzenschutzmitteln. Nachrichtenbl. Deut. Pflanzenschutzd., 59 (9), 197 – 210.
Laura de Baan, Agroscope, laura.debaan@agroscope.admin.ch
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