Ex-ante-Bewertung von Handelsabkommen
Um die Auswirkungen internationaler Handelsabkommen auf die Schweizer Landwirtschaft zu beurteilen und zu quantifizieren, stützt sich das BLW auf Wirtschaftsmodelle für Ex-ante-Simulationen. Anhand solcher Modelle können ein breites Spektrum an bilateralen und multilateralen Abkommen sowie die Folgen von Veränderungen der Agrar- und Handelspolitik von Drittländern analysiert werden. Zu diesem Zweck arbeitet das BLW eng mit der Forschungsgruppe «Sozioökonomie» von Agroscope zusammen.
Diese quantitativen Instrumente wurden von der internationalen Wissenschaftswelt anerkannt und von Marktexperten validiert. Ihre Ergebnisse sind qualitativ hochwertig und stärken die Schweizer Verhandlungsposition.
Man darf jedoch nicht vergessen, dass die wirtschaftlichen Simulationsmodelle nur eine vereinfachte Wiedergabe der Realität bieten. Für die korrekte Interpretation der Ergebnisse ist es daher unerlässlich, die angewandten Methoden und ihre Grenzen gut zu kennen.
Im BLW werden derzeit zwei Marktmodelle verwendet: das Tariff Reduction Impact Model for Agriculture (TRIMAG) und das Common Agricultural Policy Regionalized Impact Model (CAPRI).
TRIMAG wurde alleine vom BLW entwickelt und eingesetzt. Dieses Modell bietet eine äusserst detaillierte Darstellung der Struktur der Schweizer Importe von Agrarprodukten und Lebensmitteln.
Im Zusammenhang mit internationalen Handelsverhandlungen wird TRIMAG als Entscheidungshilfe herangezogen, um die beste Marktzugangsstrategie zu eruieren. Basierend auf den erwarteten Auswirkungen auf die Schweizer Agrarpreise werden die verschiedenen Zollsenkungsoptionen analysiert und validiert.
Das TRIMAG-Modell wird ab 2021 durch ein neues Modell ersetzt. Das neue Modell, das derzeit entwickelt wird, wird es ermöglichen, die Marktgrösse des Partners, mit dem die Schweiz ein Handelsabkommen aushandelt, besser zu berücksichtigen. Zudem wird es möglich sein, die Auswirkungen der Einführung neuer bilateraler Zollkontingente auf die Schweizer Landwirtschaft abzuschätzen.
CAPRI ist ein statisches partielles Gleichgewichtsmodell1 für den Agrarsektor, das von einem internationalen Netzwerk von Forschungsinstituten, koordiniert vom Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik der Universität Bonn (Deutschland), entwickelt wurde (www.capri-model.org). Seit über 15 Jahren wird CAPRI von Ministerien, Agenturen und Forschungsinstituten der EU und anderen Ländern eingesetzt, um die Auswirkungen der Agrar- und Handelspolitik (einschliesslich Umweltaspekte) zu analysieren. Die Schweiz ist seit 2011 im Modell explizit berücksichtigt.
CAPRI beinhaltet ein Raummodell der Weltmärkte, in welchem für rund 80 Länder und 65 Primärprodukte und verarbeitete Produkte die Funktionen von Produktion, Konsum (aufgeteilt nach den Bestimmungen: zum menschlichen Verzehr, als Futtermittel und zur Verarbeitung), Import und Export sowie die wichtigsten innen- und handelspolitischen Massnahmen abgebildet sind. CAPRI verfolgt den sogenannten «Armington»-Ansatz, wodurch die Produkte nach ihrem Herkunftsland unterschieden und somit die bilateralen Handelsströme dargestellt werden können. Im BLW werden die aggregierten bilateralen Zölle auf der Grundlage von bilateralen Zollschutzdaten auf der Ebene der schweizerischen Zolltarifpositionen berechnet, die nach einer durch wissenschaftliche Publikationen validierten Methodik aggregiert werden. Seit 2019 werden die Handelsströme zwischen der Schweiz und ihren Handelspartnern basierend auf dem vom Internationalen Handelszentrum (ITC, Genf) berechneten Exportpotenzial betrachtet, wodurch die Auswirkungen einer Handelsöffnung besser berechnet werden können, wenn die aktuellen Handelsströme gleich Null sind.
Mit CAPRI können die erwarteten Auswirkungen einer innen- oder handelspolitischen Veränderung auf Gleichgewichtspreise, Produktion, Konsum und Handel für einen gegebenen Zeitpunkt in der Zukunft und bezüglich eines Referenzszenarios analysiert werden. In der Folge können die Auswirkungen auf die ökonomische Wohlfahrt der verschiedenen Akteure bei gleichen Bedingungen der übrigen Wirtschaft abgeleitet werden. Das Referenzszenario definiert sich als wahrscheinlichste Situation in der Zukunft, wenn keine Veränderungen an den bestehenden oder bereits beschlossenen politischen Massnahmen vorgenommen werden, und basiert auf weltweiten Prognosen von internationalen Institutionen wie der OECD, der FAO und der EU.
CAPRI wird normalerweise für Ex-ante-Simulationen mit mittelfristigem Zeithorizont (in der Regel 10–15 Jahre) herangezogen. Da es sich um ein statisches Vergleichsmodell handelt, ist dies optimal und entspricht dem typischen Vollzugszeitraum von agrarpolitischen Massnahmen.
Mit der Kombination von TRIMAG und CAPRI können die Auswirkungen der verschiedenen möglichen Szenarien der internationalen Handelspolitik (TRIMAG) als Voraussetzung für die tatsächlichen Verhandlungen mit hoher Präzision reproduziert und getestet werden und zusätzlich die aggregierten Auswirkungen auf die weltweiten Agrarmärkte eruiert werden (CAPRI). Das CAPRI-Modell wurde in den Handelsverhandlungen zwischen der Schweiz und den Mercosur-Ländern intensiv genutzt, um die Auswirkungen der den Mercosur-Staaten gewährten Zugeständnisse, einschliesslich Eröffnung neuer bilateraler Kontingente, auf die Schweizer Landwirtschaft zu ermitteln.
Die Ergebnisse von CAPRI werden später verwendet, um genauere Schlüsse zu ziehen bezüglich der Reaktion auf Ebene des landwirtschaftlichen Einzelbetriebs. Möglich wird dies dank dem Gebrauch des SWISSland-Modells (StrukturWandel InformationsSystem Schweiz), das von der Forschungsanstalt Agroscope entwickelt wurde und von dieser verwendet wird. Es handelt sich um ein rekursiv-dynamisches Multiagenten-Angebotsmodell, das das strategische Verhalten der einzelnen Landwirtschaftsbetriebe (Betriebswachstum, Ausübung eines Nebenerwerbs, Produktionsaufgabe) und somit des Sektors als Ganzes darstellt. So können Leistung und Struktur der Schweizer Landwirtschaft in alternativen agrarpolitischen Szenarien beurteilt werden. Die Grundlage von SWISSland bilden die 3300 Referenzbetriebe des Programms «Zentrale Auswertung von Buchhaltungsdaten» des Forschungsbereichs «Wettbewerbsfähigkeit und Systembewertung» von Agroscope.
Eine enge Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe «Sozioökonomie» von Agroscope ermöglichte es, die technische Weiterentwicklung des CAPRI-Modells fortzusetzen, um seine Anwendung im schweizerischen Kontext zu verbessern. Das CAPRI-Modell schliesst heute die explizite Modellierung der nach Produkt aggregierten Schweizer Agrarpolitik ein. Zu den weiteren technischen Verbesserungen gehörte die Aktualisierung bestimmter Schlüsselparameter für den Betrieb des Modells, wie zum Beispiel eine bessere Modellierung der Pachtzinseinheiten für landwirtschaftliche Produkte, die Kontingenten unterliegen.
Das BLW hat im Jahr 2020 mit der OECD zusammengearbeitet, um die Schweiz endogen ins Modell Aglink-Cosimo der OECD und der FAO aufzunehmen. Dies hat es der Schweiz ermöglicht, in den Agrarausblick der OECD und der FAO aufgenommen zu werden. Der Agrarausblick liefert mittelfristige Prognosen für die wichtigsten Agrarmärkte. Diese Informationen tragen zu einem besseren Verständnis der Entwicklung der Agrarmärkte bei und liefern Informationen für die Erstellung eines gemeinsamen Referenzszenarios für die innerhalb des BLW durchgeführten Ex-ante-Analysen.
Literatur
Simulated economic impacts in applied trade modelling: A comparison of tariff aggregation approaches. Economic Modelling 87: 344 – 357. Mihaly Himics, Giulia Listorti, Axel Tonini, 2020.
The Swiss payment for milk processed into cheese: ex post and ex ante analysis. Agricultural Economics 48 (4): 437 – 448. Robert Finger, Giulia Listorti, Axel Tonini, 2017.
CAPRI model documentation 2014. Wolfgang Britz, Heinz Peter Witzke, 2014.
Analyse de l’impact sur le marché laitier du supplément pour le lait transformé en fromage. Recherche Agronomique Suisse 5 (5): 212 – 215. Giulia Listorti, Axel Tonini, 2014.
How to Implement WTO Scenarios in Simulation Models: Linking the TRIMAG Tariff Aggregation Tool to Capri. 135th EAAE Seminar, Belgrade, Serbia, 28 – 30 August. Giulia Listorti, Axel Tonini, Markus Kempen, Marcel Adenäuer, 2013.
Evaluating existing policy flexibilities in WTO agricultural negotiations: different criteria for the selection of sensitive products. 122nd EAAE Seminar, Ancona, Italy, 17 – 18 February. Giulia Listorti, Markus Kempen, Jean Girardin, Tim Kränzlein, 2011.
Do price uncertainties affect the use of policy flexibilities? The selection of sensitive products in WTO agricultural negotiations. EAAE 2011 Congress, Zurich, Switzerland. August 30 to September 2. Giulia Listorti, Markus Kempen, Jean Girardin, Tim Kränzlein, 2011.
Reciproca apertura settoriale del mercato con l’UE per tutti i prodotti lattieri, rapporto del Consiglio federale, 14 maggio 2014.
1 CAPRI ist ein partielles Gleichgewichtsmodell weil ausschliesslich die Auswirkungen einer wirtschaftlichen oder politischen Veränderung auf den Agrarsektor ausgewertet werden, wobei davon ausgegangen wird, dass die übrige Wirtschaft unverändert bleibt (Ceteris-paribus-Bedingungen). In den Industrieländern haben Veränderungen im Agrarsektor beschränkte Auswirkungen auf die restliche Wirtschaft. Somit ist CAPRI für Ex-ante-Wirkungsanalysen in der Schweizer Landwirtschaft gut geeignet.
Axel Tonini, BLW, Fachbereich Handelsbeziehungen, axel.tonini@blw.admin.ch
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